In 20 Jahren wird Fleisch ein Nischenprodukt sein 

Seit vielen Jahren zeichnet sich eine stetig wachsende Anzahl derer ab, die sich vegan, vegetarisch oder flexitarisch ernähren. Der Schutz, der Respekt und die Anerkennung gegenüber Tieren als Lebewesen, die fühlen, leiden, denken und keine Fleisch produzierenden Maschinen sind, steht bei vielen im Vordergrund. Mehr und mehr kommt in der Gesellschaft aber auch an, dass eine pflanzenbasierte Ernährung neben dem Tierschutz auch positiv für die Umwelt, das Klima, die Gesundheit und für die globale Ernährungssicherheit ist.

Im Interview mit Herrn Dr. Markus Keller, Ernährungswissenschaftler und Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung in Gießen, sprechen wir über die Zukunft von Fleischersatzprodukten und wie gesund pflanzliche Ernährung tatsächlich ist.

 

Herr Dr. Keller, die Anzahl der Veganer, Vegetarier und Flexitarier steigt seit Jahren kontinuierlich an. Dies haben auch die Lebensmittelhersteller erkannt und bieten dementsprechend pflanzliche Fleischersatzprodukte im Supermarkt an. Die Regale und Kühltheken mit echten tierischen Produkten sind aber immer noch deutlich länger. Denken Sie, das wird sich in naher Zukunft ändern?

Es zeigt sich ganz klar ein Trend Richtung weniger Fleisch. So verringerte sich in Deutschland der jährliche Pro-Kopf-Fleischkonsum in den letzten 25 Jahren von rund 61 kg auf etwa 52 kg im Jahr 2022. Damit wurde ein neuer Tiefstand seit Beginn der Verzehrsberechnungen im Jahr 1989 erreicht. Auch die inländische Fleischproduktion ging 2022 um rund neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück, während die Erzeugung von Fleischalternativen Jahr für Jahr ansteigt. Trotz dieser Entwicklung wird es vermutlich noch etwas dauern, bis Alternativprodukte das echte Fleisch überholt haben. Laut einer Prognose der Unternehmensberatung Kearney wird das im Jahr 2040 sein, wenn rund 60 Prozent des weltweit konsumierten Fleisches auf Alternativprodukte entfallen werden. Hiermit sind sowohl pflanzliche Produkte als auch aus Zellkulturen erzeugtes Fleisch gemeint.

 

Ich selbst habe schon als Zuhörerin bei einer Fachpräsentation zu Fleischersatzprodukten die Frage aus dem Plenum an die Referentin gehört: „Warum macht ihr eure Produkte so teuer?“ Die Referentin antwortete schlagfertig: „Warum sollten wir unsere Preise dem Billigfleisch anpassen?“. Ist es wirklich so, dass Fleischersatzprodukte oder -gerichte immer teurer sind?

Nein, im Gegenteil. Wir haben selbst eine Studie dazu durchgeführt, in der wir die Kosten für 16 in Deutschland beliebte fleischhaltige Gerichte mit veganen Varianten verglichen haben. Hier waren beispielweise Klassiker wie Pizza Salami, Spaghetti Bolognese oder Frikadellen mit Bratkartoffeln und Rotkohl enthalten. Die Auswertung hat gezeigt, dass die veganen Varianten im Durchschnitt etwa zehn Prozent bei konventionellen Zutaten und sogar 32 Prozent bei Bio-Zutaten preisgünstiger waren als die nicht-veganen Originalgerichte. Der große Preisunterschied bei Bio-Zutaten war vor allem auf das relativ hochpreisige Bio-Fleisch zurückzuführen. Aber selbst im Vergleich zum üblichen Billigfleisch war die vegane Alternative immer noch günstiger. Besonders preisgünstig schnitten die veganen Gerichte ab, wenn beispielsweise Tofu oder Sojagranulat anstelle von feuchtem Hackfleischersatz als Fertigprodukt eingesetzt wurden.

Und was wir bei der Diskussion nicht vergessen dürfen: Tierische Produkte verursachen deutlich mehr ökologische, soziale und gesundheitliche Folgekosten als pflanzliche Alternativprodukte. Würden diese externalisierten Kosten in den Preisen an der Ladentheke enthalten sein, wäre das echte Schnitzel teurer als das Seitan- oder Sojaschnitzel.

 

Fleischalternativen haftet ein gewisses Vorurteil an: Sie werden vergleichsweise selten mit natürlicher und gesunder Ernährung assoziiert. Wieso ist das so?

Hier besteht das allgemeine Vorurteil, dass Fleischalternativen häufig stark verarbeitet seien und nur aus Zusatzstoffen bestünden. Doch was heißt denn stark verarbeitet? Jedes Fleischwürstchen ist stark verarbeitet und selbst das naturbelassene Schnitzel wurde aus Getreide und Soja über den Umweg Bioreaktor Schwein produziert. Eine handelsübliche Lyoner enthält häufig fünf bis sechs Zusatzstoffe. Bei den Fleischalternativen sollten wir klar differenzieren: Es gibt Produkte, die tatsächlich stärker verarbeitet sind und beispielsweise auf Basis von Proteinisolaten hergestellt wurden. Andere Produkte hingegen sind sehr nahe dran an ihren Hauptrohstoffen, beispielsweise Erzeugnisse auf Basis von Lupinensamen.

 

Und wie gesund sind die Produkte nun wirklich? Bekommt man beim Verzehr von Fleischersatzprodukten alle Nährstoffe, die für den Körper wichtig sind, mitgeliefert?

Ich würde umgekehrt an die Frage herangehen: Welche Inhaltstoffe sind denn in veganen Fleischalternativen nicht enthalten, die mit gesundheitlich ungünstigen Wirkungen assoziiert werden? Hier wären beispielsweise Cholesterin, Hämeisen und Nitritpökelsalz zu nennen. Auch der Gehalt an gesättigten Fettsäuren, die sich nachteilig auf die Herzgesundheit auswirken können, ist in pflanzlichen Fleischalternativen meistens deutlich niedriger. Der Austausch von echtem Fleisch und Wurst gegen Fleischalternativen dürfte sich also günstig auf die Gesundheit, beispielsweise die Cholesterinwerte, auswirken, worauf erste Studien auch hindeuten. Ein Problem, und das haben wir auch in einer unserer eigenen Untersuchungen gesehen, ist der teilweise hohe Salzgehalt, der oft genau so hoch ist wie in echter Wurst oder Fleischprodukten. Bei den Nährstoffen zeigt sich häufig ein etwas höherer durchschnittlicher Proteingehalt in veganen Alternativen als in Tierfleisch. Auch der Eisen- und Zinkgehalt ist meist ähnlich hoch, wobei hier die teilweise geringere Bioverfügbarkeit aus pflanzlichen Alternativprodukten zu berücksichtigen ist. Ohne entsprechende Anreicherung enthalten Alternativprodukte kein Vitamin B12. Das könnte zunehmend ein Problem werden, wenn Menschen immer weniger tierische Produkte konsumieren, aber kein Vitamin B12 ergänzen. Hier sind auch die Hersteller gefragt, entsprechende Anreicherungen in Alternativprodukten vorzunehmen.

 

Sie haben auch schon zu den Zusatzstoffen in Fleischalternativen geforscht. Was haben Sie dabei herausgefunden?

In unserer Fleischalternativen-Studie haben wir insgesamt 80 vegane und vegetarische Fleisch- und Wurstalternativen untersucht und mit fleischhaltigen Originalprodukten verglichen. Hier hat sich gezeigt, dass es deutliche Unterschiede zwischen Bio und konventionell gab. Während konventionell-vegetarische Produkte im Durchschnitt 3,5 Zusatzstoffe pro Produkt enthielten, war es bei den veganen Bio-Alternativprodukten durchschnittlich ein Zusatzstoff pro Produkt. Aromen wurden in den Bio-Produkten gar nicht eingesetzt, während bei den konventionellen Erzeugnissen häufiger aromatisiert wurde. Es lohnt sich also immer, beim Einkauf einen Blick auf die Zutatenliste der Produkte zu werfen.

Dabei bedeutet eine lange Zutatenliste nicht automatisch, dass viele Zusatzstoffe eingesetzt wurden. Einige Bio-Fleischalternativen haben lange Zutatenlisten, weil sie viele verschiedene Kräuter und Gewürze einsetzen. Und diese sind sehr wünschenswert, weil sie den Produkten auf natürliche Weise Aroma und damit auch einen guten Geschmack geben.

 

In unserer aktuellen Studie zu Fleischersatzprodukten konnten wir feststellen, dass Männer emotional stärker am tierischen Fleischkonsum hängen als Frauen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Das hängt unter anderem mit Kultur, Erziehung und Sozialisation zusammen, sagen uns die Anthropologen und Ernährungspsychologinnen. Wer steht denn üblicherweise am Grill, um das „erbeutete“ Supermarktfleisch mit Hilfe des Feuers für die Sippe zuzubereiten? Das sind doch auf fast jeder Grillparty die Männer. Viele haben dabei immer noch das Bild des Steinzeitjägers vor Augen, auch wenn es übrigens nach neuerer Forschung in manchen Regionen auch einen nennenswerten Anteil Jägerinnen gab. Fleisch grillen oder Fleischkonsum wird weiterhin mit Männlichkeit assoziiert, denn nur wer ordentlich Fleisch isst, bekommt auch starke Muskeln. Fleischkonsum geht also vermeintlich mit körperlicher Stärke einher und damit auch wieder mit Männlichkeit, da Männer bis heute gesellschaftlich als das „starke“ Geschlecht angesehen werden. Daher ist der Fleischkonsum für manche Männer ein Teil der Identität bzw. etwas, über das sie ihre Männlichkeit definieren. Und da diese mittlerweile von allen Seiten unter Beschuss gerät, ist es für mich sehr nachvollziehbar, dass viele Männer an ihrem Fleischkonsum festhalten. Obwohl viele von ihnen wissen, dass es gesünder wäre, weniger Fleisch und mehr Pflanzen zu essen.

 

Vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit!

 

Bildcredit: AdobeStock

Lesen Sie auch die Ergebnisse unserer Studie Fleischalternativen in Deutschland 2023 – Gemüse ist mein Fleisch 

Dr. oec. troph. Markus Keller, Ernährungswissenschaftler und Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE). Er wurde 2018 zum weltweit ersten Professor für Vegane Ernährung berufen und ist Lehrbeauftragter an der Wilhelm Büchner Hochschule. Zahlreiche Forschungs- und Beratungsprojekte mit den Schwerpunkten vegetarische und vegane Ernährung sowie nachhaltige Ernährung. Co-Autor u. a. des Standardwerkes „Vegetarische und vegane Ernährung“ (Ulmer Verlag) sowie des Bestsellers „Öfter mal die Sau rauslassen“ (Ulmer Verlag).

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Die autor:innen

Geschrieben von EARSandEYES

Das Hamburger Full-Service Institut EARSandEYES steht nationalen und internationalen Unternehmen seit 1999 als Partner bei der Innovations-, Marken- und Marketingforschung zur Seite. Wir greifen auf umfassendes Methodenwissen und fundierte Branchenkenntnisse zurück. Serviceorientierung und Innovationskraft gehören zu den zentralen Werten des Unternehmens. Seit 2017 ergänzt wir unser Angebot durch die automatisierte Pretesting-Lösung kvest.com: präzise Insights zu Produktkonzept, Verpackungsdesign und Werbewirkung innerhalb von 48 Stunden – dargestellt in einem interaktiven Live-Dashboard.

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